Die Geheimsprache von Produkten und Dienstleistungen

Warum Wein und Weinglas zusammenpassen – neurobiologische Hinweise für die Produktentwicklung.
Autor: Claudia Wild
14. Januar 2015

Warum Wein und Weinglas zusammenpassen – neurobiologische Hinweise für die Produktentwicklung

Einen Wein trinken wir zu einem festlichen Anlass aus einem Weinglas, obwohl wir ihn genauso gut aus einem anderen Glas trinken könnten. Zum Schreiben einer Dankeszeile nehmen wir eher eine Füllfeder, als einen Filzstift zur Hand. Diese zwei Beispiele zeigen uns, dass wir Produkte intuitiv nutzen. Der Grund dafür ist, dass wir Physisches mit mentalen Konzepten verbinden.

Wir nehmen ein Weinglas, welches durch seinen langen Stiel vom Tisch abgehoben bzw. erhöht ist, weil dies mit dem mentalen Konzept von erhöhtem und damit besonderem Genuss verbunden ist. Diese Verknüpfung nehmen wir kaum bewusst wahr. Dass sie besteht, ist im Marketing allerdings schon lange bekannt. Kulturgeschichtlich steht die Figuration des Altarkelches dahinter, welcher das «Blut Christi» emporhebt und als höherwertigen Genuss positioniert.

Neue Forschungen zeigen, dass eine direkte und regelhafte Verbindung zwischen den physischen Eigenschaften eines Produkts und der dahinterliegenden mentalen Ebene besteht. Diese Verbindung entsteht im Frontallappen des Gehirns. Sie hat Auswirkungen auf die Beurteilung der Produkte und den Kaufentscheid. Gelingt es, die physischen Eigenschaften mit einem spezifischen mentalen Konzept zu verknüpfen, verstehen Kunden, was Marketer sagen wollen.

Dazu sollte einerseits annähernd verstanden werden, welche Wahrnehmnungsprozesse im Gehirn ablaufen und anderseits muss darüber diskutiert werden, mit welchen mentalen Konzepten das Produkt verknüpft werden soll.

Das Auge versteht mehr als es sieht

Unser Auge verarbeitet die Bildinformation zu Linien, Kanten, Ecken, Rundungen, Farben und Bewegungen. Schritt für Schritt verarbeitet das Hirn diese Basisinformationen zu Elementen und setzt sie schliesslich zu einem Ganzen zusammen. Die bewusste Wahrnehmung eines Betrachtungsgegenstandes ist dann eine Konstruktion unseres Gehirns.

Würde das Gehirn allein Bilder speichern, könnten wir eine Flasche Wein nur erkennen, wenn sie in hohem Mass identisch zum abgespeicherten Bild ist. Wie angedeutet, ist das Bildlesen des Gehirns wesentlich «intelligenter». Die Bilderkennung und Bildkonstruktion wird in der Wissenschaft Autopilot genannt. Es handelt sich dabei um einen äusserst komplexen hochgradig flexiblen und effizienten Vorgang, der dem Menschen erlaubt, aus einer Detailansicht auf das Ganze zu schliessen. Beispiel: Es genügt das Detail des Halses einer Weinflasche zu sehen, um diesen Bildausschnitt einer Weinflasche zuzuordnen. Das Sinnesorgan Augen-Hirn hat eine aussergewöhnliche Stellung. Aber die anderen Sinnesorgane denken und fühlen auch mit.

Die Sinnesorgane denken und fühlen mit

Wenn wir mit unseren Produkten und Dienstleistungen spezifische mentale Konzepte bei Kunden ansprechen wollen, ist es sinnvoll, das Prinzip des Autopiloten zu befolgen und die Produkte sensorisch zu zerlegen. Eine Zerlegung in die Bestandteile, die von den Sinnen wahrgenommen wird, ist dabei ein erster Schritt in der Analyse. Was heisst das? Im Folgenden stellen wir Ihnen drei Aspekte vor, wie unsere Sinne Objekte codieren.

Verknüpfung von Produktetemperatur und mentalen Konzepten

Verschiedene Experimente zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen der Temperatur von Produkten und der Wahrnehmung einer zwischenmenschlichen Atmosphäre. Ein Experiment der Universität Yale untersuchte diesen Zusammenhang in Bezug auf Einstellungsgespräche. Verschiedene Personalverantwortliche wurden gebeten, mit unbekannten Personen ein Einstellungsgespräch zu führen. Danach mussten sie entscheiden, ob sie die jeweilige Person einstellen würden. Vor dem Gespräch wurde den Verantwortlichen ein kaltes oder ein heisses Getränk in die Hand gegeben.

Das Experiment lieferte folgendes Ergebnis: Personalverantwortliche, die ein heisses Getränk erhalten hatten, beurteilten die unbekannte Person signifikant positiver als jene mit einem kalten Getränk in der Hand. Es besteht also ein klarer Zusammenhang zwischen der physischen Produkteigenschaft «kalt» oder «warm» und sozialen Urteilen und Ergebnissen. Dieser Zusammenhang besteht auch in umgekehrter Richtung. Fühlt sich beispielsweise eine Person sozial ausgegrenzt, wählt sie eher warme Getränke, um so die «soziale Kälte» auszugleichen.

Warme Sinneseindrücke stimmen uns positiver.

Verknüpfung von Tastsinn und mentalen Konzepten

Auch der Tastsinn ist gemäss Studien bedeutend für die Wahrnehmung von sozialen Situationen. So zeigt eine Studie, dass Probanden, die zuvor ein Holzpuzzle mit einer rauhen Schmirgelpapieroberfläche legten, eine Gesprächsszene negativer empfanden, als Probanden, die ein glattes Puzzleteil bekommen hatten.

Gleiches gilt auch für die Härte eines Untergrunds. Es konnte festgestellt werden, dass Probanden, die in einem weichen Sessel ein Mitarbeitergespräch führten, sich entgegenkommender verhielten als solche in einem harten Sessel. Mit der Produkteigenschaft «weich» und «glatt» verbinden wir also ein positives mentales Konzept.

Weiche Materialien werden in einen positiveren Zusammenhang gestellt.

Farben und die Kopplung mit Produkteigenschaften

Die Praxis und Forschungsresultate des Neuromarketings zeigen: Farben, welche für eine Verpackung genutzt werden, dienen als Anhaltspunkt für die Zuschreibung von Produkteigenschaften und sprechen gewünschte mentale Konzepte beim Kunden an.

Als Beispiele dienen in diesem Fall Light-Produkte. Light-Produkte wiesen im Vergleich zu der «Normalen» Variante immer deutlich entsättigtere Farben aus. So beispielsweise hell- anstatt dunkelblau. In dem die Farbe «leichter» wirkt, wird auch dem Produkt automatisch die Eigenschaft, «kalorienarm» zu sein, zugeschrieben.

Entsättigte Farben lassen uns glauben, ein Produkt sei kalorienärmer.

Die Kopplung von physischer und moralischer Sauberkeit

In einem weiteren Experiment wurden zwei Gruppen von Probanden gebeten, zu Lügen oder die Wahrheit zu sagen. Auffallend war, dass jene Gruppe die Lügen musste, anschliessend signifikant häufiger und länger die Hände wusch. Dies zeigt, dass ebenfalls eine Kopplung zwischen der physischen und moralischen Sauberkeit besteht.

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